Sherlock Tom kombiniert...

…ein Physiotherapie-Krimi ­ mit Happy End!

Montagmorgen, 9:00 Uhr. Sherlock Tom ist ins Grübeluniversum abgetaucht. Der Grund, ein ungelöster Fall drückt ihm auf’s Gemüt. Bei einer Patientin will sich keine nachhaltige Verbesserung einstellen. Die bisherigen Physiotherapie-Einheiten und das verordnete Heimprogramm bringen kurzfristig Erleichterung, aber das wars. „Dead end“, denkt er und geht mit einem Seufzer erneut Befund und Anamnese vor seiner nächsten Einheit mit der Patientin durch.

Migräne mit therapieresistenten Nackenschmerzen als Zuweisungsdiagnose vom Hausarzt. Die Kopfschmerzen – in der Früh verstärkt, Harnstrahl beim Urinieren verlangsamt sowie verlängert, Schwindel und Augenflimmern untertags. Seit zwei Tagen nun noch Herzrasen und Verdauungsstörungen. Neurologisch ist alles ohne Befund, keine gröberen Abnützungserscheinungen im Bereich der Wirbelsäule, Blutbild top – Entzündungsprozesse sind auszuschließen. Doch irgendetwas muss ihm entgangen sein.

Die SMS seiner Kollegin H. Watson lässt ihn hochfahren „Komme heute nicht in die Praxis zur Besprechung – bin out of order!“ Von welchem Selbstexperiment hat sie denn diesmal die Finger wieder nicht lassen können, fragt er sich, als auch noch der neueste Blog-Artikel von ihr aufpoppt, das nervt allmählich:
„Aus der klinischen Erfahrung lässt sich berichten, dass eine konstante Reizung des Vagus-Nerv durch zu intensive Mobilisation der oberen Kopfgelenke zu Herzrasen, Schweißausbrüchen, Verdauungsbeschwerden und reaktiver Tonuserhöhung im Körper des Versuchsobjektes führen können. Anatomisch gesehen erklären sich diese Phänomene vom Verlauf des Nervus Vagus – dem „Vagabund“ – auch als zehnter Hirnnerv bezeichnet. Er ist der größte Nerv des Parasympathikus, verläuft vom Schädelinneren bis zur Verästelung im Bauchraum und ist an der Regulation der Tätigkeit fast aller inneren Organe beteiligt.“

Watson hat sich also tatsächlich wieder von ihrer anatomisch-funktionellen Experimentierfreudigkeit mitreißen lassen und weitere Selbstversuche angestellt. Schaudernd denkt Sherlock an die letzte Eskapade von ihr. Nach einem analen Palpationskurs war der Kreislauf von Watson total eingebrochen. Um sich abzulenken, und den aufkeimenden Brechreiz zu kompensieren, hatte sie als Strategie exzessives Kaugummikauen betrieben. Zum Ärgernis von Sherlock Tom, der sich auf dem Heimweg das Gejammer über ihren verspannten Beckenboden anhören musste. „Mundboden und Beckenboden hängen nunmal funktionell zusammen…“, hört er sie noch sagen. „Ja, ja ich weiß Watson, wegen dem ständigen Kauen…“, denkt er, als es gedanklich endlich Klick in seinem Clinical-Reasoning-Areal macht. Jetzt sieht er alles ganz klar.

Aufgeregt reißt er die Tür  auf, um seine durch die ungewohnte Überschwänglichkeit nun etwas perplexe Patientin zu empfangen: „Meine Hypothese ist, dass Sie an einem Symptomkomplex namens CMD leiden. Daher werden wir in der heutigen Einheit unseren bisherigen physiotherapeutischen Befund um einige funktionelle Tests im Kiefer-Mund-Bereich erweitern!“

Eine halbe Stunde später ist die Patientin bereits unterwegs zum Zahnarzt ihres Vertrauens, und Sherlock Tom wieder voll auf Zielgerade. Nach dem Anruf des Doktors der Zahnheilkunde bestätigt sich dann auch, dass die Patientin durch einen Fehlbiss mit nächtlichem Bruxismus an einer Störung des Kausystems und der Kiefergelenke leidet. Mit der Zeit hat sich die Fehlbelastung auf die oberen Kopfgelenke übertragen, und zu einer Spannungserhöhung der tiefen Nackenmuskulatur, der ventralen Halsmuskeln und der Mundbodenmuskulatur geführt. Diese Tonuserhöhung der Muskulatur löste wiederrum eine Verengung anatomischer Strukturen in den körperdurchquerenden Durchgängen des Nervus Vagus aus.

„Ohne meine Bloggerin wäre ich manchmal ganz schön verloren“, gesteht er sich schmunzelnd ein, und fühlt sich endlich wieder versöhnt mit der Welt im Allgemeinen und seiner exzentrischen Kollegin im Besonderen.